Anmerkung

Weihnachten früher und heute

 

Welche der Choralstücke unseres heutigen Programms sind mittelalterlich und welche sind modern?

 Die Poesie des Mittelalters und von früher hat einen großen Einfluss auf moderne Komponisten für Chormusik, wohl besonders  in Großbritannien. Warum beeinflussen solch alte Texte die Komponisten so sehr? Könnte es diese Atmosphäre tiefer Frömmigkeit sein oder andererseits die weltliche Klangfarbe der Minnelieder? Oder ist  es die bunte Vielfalt, die wir mit dem Mittelalter assoziieren? Könnte es vielleicht der Mangel an umsetzbarer moderner Poesie sein? Aber Mittelenglisch ist auch nicht besser zu verstehen, als das Englisch moderner Poesie, denn viele Partituren und poetische Sammlungen benötigen ein Glossar mit Erklärungen zu den Wörtern.

 Diese Anziehungskraft scheint Mitte des 20 Jh. besonders ausgeprägt zu sein. Insbesondere bei Weihnachtsmusik, die für eine Zeit geschrieben wurde, in der wir auf die Geburt zurückschauen und aufs Neue Jahr nach vorne blicken. Viele Komponisten des heutigen Abends benutzen mittelalterliche Texte und Stile: Benjamin Britten, Peter Warlock, Gustav Holst, John Rutter, und Edgar

Pettmann. Aber nicht nur diese. Timothy Rodgers wurde 1961 geboren. Elizabeth Poston (1905 - 1987) ist Amerikanerin und hat einen amerikanischen Text aus dem 18. Jh. benutzt. Einige der Texte sind so alt, dass deren ursprüngliche Bedeutung verloren ging, wie zum Beispiel bei „A New Year Carol“. Obwohl sich im Laufe der Jahrhunderte andeutungsweise eine Bedeutung der Worte abzeichnet, nicht zuletzt durch die magische Kombination zwischen Melodie und Text.

Einige der Stücke sind alten Ursprungs: “Psallite unigenito” von Präetorius zum Beispiel oder „Hodie Christus Natus Est“. Dieses ist das älteste Lied in unserem Programm (soweit wir wissen), ein Choralgesang für die Weihnachtstags-Vesper, (wahrscheinlich)  aus dem 13ten Jh. Es wurde von Benjamin Britten 1942 in dessen Kantate „A Ceremony of Carols“ verwandt, und in dieser Version werden wir es heute Abend auch singen. Einige dieser alten Texte, „Adam lay ybounden“ zum Beispiel, wurden viele Male vertont. Der ESOC Chorus hat schon drei dieser Vertonungen gesungen, nämlich von Boris Ord, Benjamin Britten und heute Abend von Peter Warlock. Das Manuskript dieses aus dem 15ten Jh. stammenden Gedichts wird in der British Library aufbewahrt und gehörte wahrscheinlich einem fahrenden Sänger.

“O remember Adam’s fall (O thou man)” ist eine Art Pop-Song der damaligen Zeit. Der Text stammt von Thomas Ravenscroft (1592 - 1635), der an dem Globe Theatre in London arbeitete. Das Musikmanuskript von 1733 gibt uns einen Einblick in den Gesangsstil der Zeit. Es zeigt einen starken sittenstrengen Einfluss, nicht zuletzt weil es uns nachdrücklich darauf hinweist, dass die Religion und sogar Weihnachten eine ernste Angelegenheit sein sollen. Es wird Sie erleichtern zu hören, dass wir nicht alle 20 (oder so) Verse singen werden.

Auch der alte Text „O Magnum Mysterium“, eines Antwortgesangs für den Weihnachtsmorgen, wurde mehrmals vertont. Im letzten Weihnachtskonzert sang der ESOC Chorus eine Vertonung aus dem 16ten Jh. von Tomás Luis de Victoria. Dieses Jahr führen wir eine Fassung von Poulenc aus dem Jahr 1952 auf, eine der sinnträchtigsten Vertonungen, die man sich vorstellen kann, mit einer ausgezeichneten Wortmalerei.

Der anglo-walisische Komponist Peter Warlock war in erster Linie ein Liedkomponist. Unter seinem richtigen Namen ‚Philip Heseltine’ schrieb er Musikkritiken. Er hatte verschiedene weitreichende Geschmacksrichtungen. Er vertonte Gedichte von W. B. Yeats, Robert Nichols ebenso wie von Bruce Blunt. Warlock suchte sich immer Texte mit hohem künstlerischen Anspruch aus, viele von ihnen aus dem Mittelalter.

Gustav Holst, ein englischer Komponist schwedischer Abstammung, hinterließ uns mit „Let all mortal flesh keep silence“ ein wundervoll atmosphärisches und dramatisches Arrangement. Eine Kombination aus Wort und Ton, die heutzutage in fast jedem englischen Gesangbuch zu finden ist. Die Melodie wird als „altfranzösische Melodie“ bezeichnet, und die Worte sind von der Liturgie des heiligen Jakobus. Der Text stammt aus dem 4ten Jhd. und wurde aus dem Griechischen von Gerald Moultrie im Jahr 1864 übersetzt. Somit könnte dies der älteste Text unseres heutigen Programms sein.. 

Jeanne Conard und Michael Jones